Fischauge

Zu Anfang bin ich auf und ab gegangen. Als hätte mein Körper nicht verstanden, dass es keinen Ausweg gibt. Vier mal drei Meter. Auf und ab. Auf und ab. An der linken Seite ein Bett, ein Waschbecken und eine Toilette. An der rechten Seite ein Schrank. Lieblos und kalt. Eine Glühbirne an der Decke. Was immer ich auch tun würde, diese Bilder würden sich auf ewig eingebrannt haben. Während ich also auf und ab hastete hab ich nachgedacht über Dinge, die ich getan habe. Über das Blut, das ich vergossen hatte. Und ich hasste mich dafür, dass ich über sie nachdachte. Genau das wollten sie doch! Dass ich nachdachte über meine Taten! Dabei wollte ich das nicht. Flüchten wollte ich. Flüchten in eine Welt, in der alles in Ordnung war. Doch immer wieder stiegen die Erinnerungen auf. An eine Zeit, in der gar nichts in Ordnung war. Mein Mann hatte mich verlassen. Wegen einer jüngeren Version von mir. Und schon wieder war ich auf den Beinen und auch schon an der verschlossenen Tür. Wie klischeehaft. Das habe ich ihm auch gesagt, bevor ich ihm ein Messer in die Brust rammte. Gut, ich habe ihm noch viel mehr gesagt, bevor ich in die Küche stürzte, wahrlich stürzte, denn er hat mich doch gestoßen und nach dem Messer griff. Der Richter hat es dann, wie ein besudeltes Stück Unterwäsche, in die Höhe gehalten hatte und als Tatwaffe bezeichnete. Ich machte am Absatz kehrt. Tatwaffe... es war mein Zwiebelmesser. Mein Zwiebelmesser eine Tatwaffe, wie lächerlich. Das hab ich dem Richter auch gesagt. Das ist mein Zwiebelmesser, hab ich gesagt. Wieder an der Tür. Und er hat darauf erwidert, ob ich denn mit besagtem Zwiebelmesser vielleicht auch meinen Mann erstochen hätte. Dazu hab ich dann nichts gesagt. Ging ihn das denn etwas an? Wieso spielen sich Menschen gegenüber Menschen denn so auf? War er denn schon einmal in meiner Situation? Eine jüngere Version von mir. Der Staatsanwalt hatte dafür kein Verständnis. Er war auch nie in meiner Situation. Meine Anwältin hat das auch nicht verstanden. Deshalb hat sie mich auch nicht richtig verteidigen können. Und ich kenne dieses Deutsch nicht, das vor Gericht gesprochen wird. Schuldig, ja, das habe ich verstanden. Aber ich finde das absurd, dass die sich anmaßen über andere zu richten! Sie heißen zwar Richter... aber ich finde das trotzdem nicht in Ordnung. Und – hat mich jemals jemand gefragt, ob ich das auch so haben möchte, dass jemand über mich richtet? Hätte ich nicht nein gesagt? Doch bevor ich wirklich ins philosophieren kam, sah ich schon wieder dieses Bild vor mir. Er ist in der Tür gestanden. Ich hatte das Messer fest in der Hand. Hinter meinem Rücken. Wir stritten weiter. Bei einer bestimmten Bemerkung von ihm wurde es mir zu bunt; ich ließe mich gehen, hat er gemeint. Und daraufhin sein solariumbraunes Gesicht schnippisch abgewendet. Und diese Sonnenbrille im gegelten, graumelierten Haar. Und dieses betont lässige Polohemd. Darunter immer noch sein Bierbauch. Er hatte sich verändert. Aber ich hab deshalb auch nicht gesagt, er wäre ein von Midlifecrisis zerfressener Trottel. Das hätte ich sagen sollen. Er hat mich von oben herab behandelt. Mich abgetan. Er wolle schließlich nur seine Sachen holen. Aber nicht mit mir, nicht mit mir. Ich hab ihm in die Augen geschaut und hab Überheblichkeit darin gesehen. Aber nicht lange. Das Messer drang tief in seine Brust. Ich sah ihm immer noch in die Augen. Und sah, wie die Überheblichkeit brach, dem Unverständnis Platz machte und schließlich sah ich reinen Hass. Bevor die Fenster zu seiner Seele sich schlossen und der Blick starr, grau und leblos wurde... Doch, ich hätte nein gesagt. Mich zu verurteilen, wo ich doch im Recht war! Bis, dass der Tod euch scheidet, hat es geheißen. Und er ist mit einem Packen Papier angekommen! So nicht, mein Lieber, so nicht! Und so ging es weiter, Monat um Monat. Doch die Zeit der inneren Getriebenheit ist längst vorüber. Ich starre an die Wand und beobachte die gestreifte Reflexion der Sonne. Der Tag kann noch so schön sein, immer diese Streifen. Durch das kleine Loch in der Wand, mit den gezielt platzierten Gitterstäben.

 

 

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© Ina Seiser