Liliths Wiederkehr

Sturm zerrt an ihren langen, blauen Gewändern. Dunkle Wolken ziehen über die Klippe an der sie steht. Blitze erhellen das Meer. In ihrem Antlitz ein verschleierter Blick, ihre Ohren stumpf, als hätten sie vergessen zu hören. Regen hat schon lange gesiegt über den Sonnenschein, geht nieder in Strömen. Der Kopf bedeckt von nassem Haar, ein Wimpernschlag vergeht wie Stunden. Harren, aushalten, sich der eigenen Stärke nicht bewusst, bittet und fleht sie demütig. Doch tosende Böen ersticken alle Hoffnung. Sie richtet den Blick gen Himmel, wird trotzig und schreit, ihre stumpfen Ohren lassen sie einen unbedachten Wunsch äußern. Die Dinge nehmen ihren Lauf.

 

Der Mund geöffnet, sich von außen sehend, fährt ein Geäst des Himmels herab. An der Stirn getroffen, bleiben ihre Augen geöffnet. Wach, wissender als vorher, mit einer Träne im Gepäck liegt sie nahe des Abgrundes. Der Donner kennt am Ende der Welt keinen Widerhall, rollt über die vom Wind gepeitschten Bäume hinweg und alles was sie hört, ist die Erinnerung an ihren erstickten Schrei. Doch was sie sieht kennt nun keine Grenzen. Zitternd steht sie auf, fühlt sich größer als zuvor. Bitten und Flehen ist vorüber, da ist kein Darüber. Sie blickt sich um, sieht die Welt um sich verfaulen, die vergilbten Blätter, den süßlichen Duft nimmt sie nach langer Zeit wieder wahr. Die Arme zur Seite ausgestreckt, hält sie den Kopf gesenkt. Die Flut des Himmels trommelt auf sie herab. Erfüllt, von der Kraft, wieder zu wissen, wer sie ist, durchzieht ein Ruck ihren Körper, die Finger schnellen zur Seite, der Kopf in den Nacken, die Augen haben die Sonne nie vergessen. Das Gewitter reagiert. Es wird stiller, es wartet auf Anweisung. Die Hände zur Faust geformt, kommt es zum Stillstand. Während des langsamen Öffnens der Hände, des Zusammenkauerns des gesamten Seins ziehen sich die Wolken zurück in die Büchse der Pandora. Zurück auf den Meeresboden in die versunkene Stadt. Was bleibt ist ein Stück weißer Horizont. Die Geschichte ist noch nicht geschrieben. Durchatmen. Schwarze Flügel schälen sich von ihrem Rücken ab. Auf vier Beinen hebt sich ihr Blick. Durchdringend, wissend, ruhig. Das Weiß lässt sie einen Moment erschaudern, doch dies war ihr Moment. Dazu war sie da. Die Flügel breiten sich aus, eine Feder gleitet die Klippe hinab in das zeitlose Meer.

 

Zum ersten Mal schließen sich ihre Augen und ihre Erinnerung beginnt zu malen. Ich lass es zuerst Nacht werden. Das Firmament färbt sich schwarz. Immer noch auf allen Vieren, kommt das Licht der Sterne langsam näher. Sie richtet sich auf. Sternschnuppen verglühen in der frischen Atmosphäre. Ihre Seele spiegelt immer mehr Details in den Himmel. Die Milchstraße beginnt zu glitzern, die Sichel des Mondes geht auf. Eine Freudenträne versiegt in der Dunkelheit. Sie dreht sich um, im Wenden ein Wink mit der Hand. Das war das Zeichen für die Idee der Sonne, sie beißt sich einen Weg durch die Nacht. Als der erste Strahl sie trifft, fallen die Flügel ab, zerfallen zu Staub. Langsamen Schrittes, nackt und hoffnungsvoll, begibt sie sich auf den Weg zurück, zu den Ruinen von Eden.

 

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© Ina Seiser