Von Wert und Wille II

Ein strukturelles Problem schlägt in ein essentielles Problem um. Intensivbettenüberlastung wird Leben kosten. Objektiv hätte sich dies durch eine Durchimpfung der Bevölkerung verhindern lassen. Sterben diese Menschen im Namen eines Werts?

 

Ein Zitat Voltaires besagt: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“ Dies gilt nicht für die Verharmlosung des Nationalsozialismus, dies gilt nicht für Homophobie, was ist mit der Verbreitung von objektiv falschen Tatsachen?

 

Wo endet Freiheit? Endet die individuelle Freiheit an einem Punkt? An welchem? Objektiv gilt die StVO, die AGB, das AußerStrG, etc. Diese regeln Rechte, Pflichten und schränken die individuelle Freiheit ein.

 

Hat die Gemeinschaft das Recht Zwang auszuüben? Sie tut es jeden Tag. Mörder werden eingesperrt, Falschparker bekommen Strafzettel. Ihr dieses Recht also abzusprechen, würde den gesamten Staat ad absurdum führen.

 

Manche wollen das, sehen jetzt vielleicht eine Chance.

 

Objektiv“ heißt nicht immer „richtig“ im Sinne von „rechtens“. Es ist nicht rechtens, dass Menschen unnötig sterben werden. Es ist ungerecht und dabei trotzdem wahr.

 

Eine mediale und politische Kommunikation, die die Bevölkerung gegeneinander ausspielt und dabei ihr eigenes Versagen nicht anspricht, sägt an mehr, als an ihrem eigenen Stuhl.

 

Kein Einzelner von uns ist der Staat. Kein Einzelner hat das Recht, über das Leben eines anderen zu bestimmen. Wir alle schon, denn wir alle gemeinsam können Recht schaffen.

 

Momentan agiert die Politik emotional. Sie nimmt Worte wie Solidarität und Verantwortung in den Mund und redet ungeimpften Menschen ein schlechtes Gewissen ein, um etwas zu erreichen. Das ist nicht ihre Aufgabe und dafür wurden sie nicht gewählt. Hatten Menschen das Recht sich bezüglich der Impfung zu entscheiden? Ja. Warum? Weil es kein Gesetz diesbezüglich gab, insofern durfte man sich entscheiden.

 

Demokratie heißt auch: Auf Augenhöhe. Wir sind gleich vor dem Gesetz. Es ist nicht Aufgabe des Einzelnen über die Lebensweise eines anderen Menschen Recht zu sprechen. Dies überschreitet seine Kompetenz. Eine Unterscheidung zwischen Geimpft und Ungeimpft war auch vor der Justiz nicht zulässig, da keine Impfpflicht galt.

 

Rechte und Pflichten gelten für alle. Die Variante: „Die „Braven“ dürfen spielen gehen und die „Schlimmen“ haben Hausarrest.“ mag virologisch Sinn gemacht haben, aber nicht politisch. Das Verlangen des Volkes geführt zu werden betrifft die Erhaltung der Struktur, der Versorgung, etc. Die Einteilung in Gut und Böse darf und muss einem jeden selbst überlassen werden. Staat und Kirche wurden nicht umsonst getrennt.

 

Emotionaler Druck in eine Richtung, in der das Resultat von vorne herein fest steht, ist Manipulation. Eine Politik, die Themen „nicht diskutiert“, um sie dann scheinbar „undiskutiert“ einzuführen, wenn die allgemeine emotionale Stimmung danach verlangt, hat kein Vertrauen in die Mündigkeit ihrer Wähler. Mündigkeit betrifft nicht allein das Alter. „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Immanuel Kant

 

Immanuel Kant hat auch den kategorischen Imperativ formuliert. "Handle so, dass die Maxime deines Handelns zum Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte." Oder Jean-Paul Sartre: "Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt."

 

Der Eine hat dieses gesagt, der Andere hat jenes gesagt. Auch vernünftig kann man zu verschiedenen Schlüssen kommen, die gleichwertig nebeneinander stehen. Entscheidungen werden aufgrund der Rechtslage getroffen. "Recht" kann man dabei entweder von vorne herein haben oder von anderer Instanz bekommen. Deshalb auch die Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative.

 

Interdisziplinarität ist im Diskurs befruchtend, am Ende des Tages hat aber doch jeder seine definierte Aufgabe und Kompetenz.

 

Der Traum der Philosophie, eine strenge Wissenschaft zu sein, war mit Edmund Husserl am Ende "ausgeträumt", wie er in der "Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie" schreibt. 

 

Dem ausgeträumten Traum der Vernunft verdanken wir es, dass wir Wahlmöglichkeiten haben. Die eine Vernunft gibt es nicht. Es gibt Standpunkte, die sind vernünftig und man empfindet sie als trotzdem verwerflich.

 

Die eigenen Werte melden sich spätestens so sie angegriffen werden.

 

Um auf das Anfangsthema abschließend einzugehen sei meine eigene Ansicht diesbezüglich hinzugefügt. Für Werte einzustehen schätze und respektiere ich. Einstehen heißt für mich aber auch Bedacht, Verantwortwortung und das tragen der Konsequenzen. Die medizinische Versorgung ist nicht mehr für jeden in vollem Maße gewährleistet. Wenn andere Menschen für meinen Wert sterben ist es nicht meine Revolution.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Eindeutigkeit – sieht man von den (freilich ganz wesentlichen) Hilfsorganisationen ab: Datierung, Quellenkritik und dergleichen – ist in den interpretierenden Geisteswissenschaften kein Ideal, das nicht erreicht wird, sondern eine Gefahr, der es zu entkommen gilt. Man muß merken, wogegen die Vieldeutigkeit nötig würde, und daß es Blut, Schweiß und Tränen gekostet hat, die Eindeutigkeit gerade loszuwerden. Denn die Geisteswissenschaften sind auch eine – späte – Antwort auf die Tödlichkeitserfahrung der konfessionellen Bürgerkriege, die hermeneutischen Bürgerkriege waren; denn man schlug einander tot im Kampf um das eine absolut richtige Verständnis des einen absoluten Buchs, der Bibel und späterhin der einen absoluten Geschichte."

 

Marquard, Odo; Einheitswissenschaft oder Wissenschaftspluralismus? in: Küppers,
Bernd- Olaf (Hg.); Die Einheit der Wirklichkeit, Zum  Wissenschaftsverständnis der Gegenwart; Wilhelm Fink Verlag, 2000, S64

 

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© Ina Seiser